CDMX – La Reina

Die totale Überforderung; laut, kalt, heiss, Luft die kaum zum Atmen taugt, arm, reich, Verkehr 24/7 und Leute, Leute soweit das Auge reicht. Mein Fazit vorab: Leider geil… 😜

Mit mehr als 9 Millionen Einwohnern innerhalb der Stadtgrenze und ca. 22 Millionen innerhalb des Ballungsgebietes liegt Ciudad de Mexico (CDMX) aktuell auf Platz 9 der grössten Metropolregionen weltweit und ist damit die grösste Menschenansammlung in Nordamerika, noch vor allen US-amerikanischen Metropolen wie New York oder Los Angeles. Das sind die Fakten. Rein gefühlsmässig ist CDMX eher so etwas wie ein eigener Planet. Die Stadt erstreckt sich unendlich weit in alle Richtungen und hört einfach nie auf. Auf einem Ausflug in das Vorort Mixquik sind wir mit dem Shuttle-Bus mehr als drei Stunden (reine Fahrzeit) unterwegs gewesen. Und das alles in der gleichen Stadt! Jedes Quartier, hier Colonia genannt, hat seinen eigenen Charakter.

Ein Wohnblock vor einem Hochhaus, CDMX’s Architektur kann bisweilen ziemlich beliebig wirken
Hier eine typische Strassenszene aus unserem Burbuja Quartier (siehe unten)
Geht auch in grüner. Und ist häufig so! CDMX ist eine unerwartet grüne Stadt… 😊
Und wer genau hinschaut findet auch solche Bijoux: Herzige Innenhöfe gesäumt von Wohnungseingängen

Und noch viel spassiger: jede Strasse, die eine Colonia von der anderen trennt, kann gleichzeitig die Grenze zwischen «ganz ok hier» und «No-Go Area» darstellen. Ist kein Problem, solange man sich diesen unsichtbaren Grenzen bewusst ist. Macht das Navigieren der Stadt einfach ein bisschen anspruchsvoller dafür umso interessanter.

Wie ist der Vibe?

Ok, ok, ganz ruhig. Beim nochmaligen Durchlesen fühlt sich der Einführungsabsatz etwa gleich atemlos an wie CDMX selbst. Aber es gibt so viel zu erzählen und es ist bereits jetzt klar, dass ich die Hälfte weglassen werde! Nun gut, versuchen wir es der Reihe nach… Als wir ankamen, Direktflug aus Cozumel, fühlten wir uns zuerst einmal wie Campesinos aus der tiefsten Provinz Mexikos. Das Schweizer Gegenstück unserer Reise wäre direkt von Thurgau nach Zürich (sorry Degu 😂). Hier in CDMX ist alles so verhipstert, jede Bar cooler als die vorhergehende und die Leute so divers, jeder mit seinem sehr eigenen Stil. Definitiv eigenständiger im Charakter als Zürich und mit einem ganz eigenen, leicht roughen Street-Stile Charme der im Gerold’s Garten nur gut nachgebaut, hier aber echt ist. Ja, Zürich ist eine tolle Stadt aber mit der Kreativität und rohen Lebensfreude von 22 Millionen Mexikaner ist es schwer mitzuhalten.

Der Vinyl Hype ist natürlich auch in CDMX längst angekommen
Jede Bar ein Unikat und das verteilt auf zwei Stadtviertel. Zusammengerechnet ergibt das etwa 47 Langstrassen. Man wird nicht fertig…

Internationale Küche was auch immer das Herz begehrt, in der ersten Woche hatte ich beinahe eine Sushi Überdosis aber auch knuspriges, echt thailändisches Tod Mun Goong geht immer.

Das unserem Airbnb nächstgelegene Restaurant, Galanga, vermutlich einer der besten Thais der Stadt. Aber so genau kann man das in CDMX nie sagen. Natürlich mit Mineralwasser importiert aus Italien. Die Chilangos gönnen es sich… 😅

Wenn wir gerade beim Schlemmen sind; Craft Beer heisst in Mexiko Cerveza Artesanal. Und davon gibt es viel zu entdecken! Allein in Gehdistanz zu unserem Appartement haben drei lokale Brauereien einen Tasting Room eingerichtet.

La Burbuja

Die «normalen» Einwohner von CDMX nennen sie La Burbuja, die Blase: die Colonias Condesa, Polanco, Roma Norte & Santa Fe sind hip und teuer. Alle die nicht zur Oberklasse gehören, kommen nur zur Arbeit hierher. Auch unser Appartment hat sich mit Roma Norte in einer dieser Nachbarschaften befunden. Martina und ich haben bei der Buchung und auch vor Ort lange Diskussionen darüber geführt, was wir nun davon halten sollen, Stichwort Gentrification etc. Ich möchte immer möglichst lokal eintauchen und wenn acht von zehn Wohnungen AirBnbs mit US-Amerikanischen Bewohner sind, stellt sich dieses Gefühl nicht ein.

La Burbuja wie sie leibt und lebt; fancy renoviertes Wohngebäude, im Erdgeschoss ein Hipster Café für Digital Nomads hinter ihren MacBooks und der Beamer vor der Türe. Ok, ok, so extrem ist es selten aber das Foto bringt es auf den Punkt.

Fazit: Trotz meiner tief verankerten Abneigung gegen zu viel Zeit im «Gringotown» war die Lokation unseres Airbnbs eine ganz gute, sprich pragmatische Entscheidung. Die Kriminalitätsstatistik von Mexiko City erspar ich uns jetzt, aber bei aller Gelassenheit eines erfahrenen Reisenden gibt es einfach ein paar grundlegende Realitäten, denen auch wir uns nicht entziehen können.

Hier unser Airbnb von aussen, für einen Monat war die Calle de Chiapas 135 unser Zuhause und wir haben uns super wohl gefühlt!

Und man muss sich eines bewusst sein; während ich weisser Schweizer mich bitte schön in einer authentischen Nachbarschaft wiederfinden möchte, würden viele Einwohner Mexiko City’s das linke Bein dafür geben, in der Burbuja leben zu dürfen. Mit guter Infrastruktur und ohne Schiessereien…

Das nun aber kein falscher Eindruck entsteht; bei uns im Roma Norte sieht es noch nicht gaaaanz wie in Zürich. Sehr cool und hip, aber definitiv a bit rough around the edges… 😂

Perritos, Perritos, all day long…

Als erstes fällt einem auf, dass jeder Chilango mindestens einen, besser zwei oder drei Hunde hat. Je auffälliger, desto besser, vom Mini-Chihuahua bis zum Afghanischen Windhund haben wir alles gesehen. Waschechte Bernhardiner auch. Abends sind die Trottoirs voll mit stolzen Herrchen und Frauchen und auch sonst scheinen die lieben Perritos Gesprächsthema Nummer eins zu sein. Das jemand seinen Hund vor dem eigenen menschlichen Partner begrüsst, mir egal. Wenn jemand seinen Hund im Restaurant WÄHREND des Essens auf dem Schoss hat, um ihn ununterbrochen liebkosen zu können, schwierig.

Leider arbeiten die Bewohner von Mexiko City sehr hart und haben deshalb nicht immer Zeit sich um ihre vierbeinigen Freunde zu kümmern. Für das gibt es eine ganze Industrie von Hunde-Coiffeurs, Hunde-Walkern, Hunde-SPA’s und sogar Hunde-Hotels, wenn es einem ganz zu viel wird. Vielleicht liegt meine Abneigung der Hunde Manie gegenüber auch darin begründet, dass sich ein ebensolches Hunde-Hotel direkt gegenüber unserem Airbnb befunden hat. Inklusive der nicht zu vernachlässigenden Lärmemissionen, wenn ein Hund meint, er sei für immer von seinem Herrchen zurückgelassen worden, weil er das Konzept von zwei Wochen Sommerferien nicht versteht. Ich weiss, ich höre mich nun ein bisschen sarkastisch an, aber wieviel Lärm zwanzig sich verlassen fühlende Perritos über die Dauer einer Nacht fabrizieren können, weiss nur, wer es selbst erlebt hat.

Fazit: Wer weiss, ob es eine Hunde-verrücktere Stadt auf dieser Welt gibt…

Ich kann es mir nicht verkneifen, hier das Beweisfoto. Er konnte gleich mitessen, mmmhhhmm…

Administratives: Von A nach B und das Wetter

AMLO hat in seiner Amtszeit viel in den öffentlichen Verkehr von CDMX investiert und das merkt man. Die zwei grossen Fortbewegungsmittel sind die Metro und der Metrobus. Funktioniert beides perfekt und die Chilangos sind auch sichtlich stolz darauf, auf jeder Tour oder bei jeder mit dem ÖV zusammenhängenden Interaktion wurde darauf hingewiesen. Als grosser ÖV Fan kann ich nur sagen; Daumen hoch, sehr gut gemacht.

Im Hintergrund sieht man den Metrobus inklusive seiner hochgelagerten Halteplattform an der Cuauhtémoc. Auch gerade ein schönes Beispiel für die Quartiergrenzen; links der Buslinie die Colonia Doctores, No-no-no-go Area, rechts davon Roma Norte, da haben wir gewohnt.

Aber ja, bei aller Lobhuddelei bzgl. dem ÖV; CDMX ist (und bleibt vermutlich auf absehbare Zeit) eine Autostadt…

Paseo de Reforma x Insurgentes. Zwei der Lebensadern CDMX’s kreuzen sich, viel Spass…
Nein, da ist kein Staub auf der Linse, das ist die Fernsicht an einem schönen Tag…. Wir haben (selten) Leute draussen joggen gesehen, würde ich stark davon abraten und ins Gym gehen. Die haben Luftfilter…
Die berühmt berüchtigte «Hora de Pico», frei übersetzt als Rush Hour und im ganzen Land gefürchtet. Alternativtitel: «Wenn acht Spuren nicht reichen»

Das Wetter im Oktober war sehr stetig, zumindest über die einzelnen Tage hinweg betrachtet. Innerhalb eines Tages kann es aufgrund der Höhe (2’200+ Meter über Meer) zu grossen Schwankungen kommen. Heisst konkret; Morgens eher frisch, Wolljäckli erwünscht, ab ca. 11 Uhr brennt die Sonne was sie mag und T-Shirt ist eigentlich immer noch zu viel, Nachmittags um 16 Uhr gibt es gerne mal eine Schauer und Abends manchmal lange angenehm warm, manchmal bereits zum Znacht die Daunenjacke.

Erdbeben hatten wir zum Glück keine, wird aber jedes Jahr in einer massiven Stadt-weiten Übung durchgespielt

Für Martina («la friolera», Gfröörli auf Deutsch) kam erschwerend hinzu, dass die Chilangos nichts aber auch gar nichts von Isolierung oder nur schon von Fenstern halten. Es gab selten Restaurants mit Türen und / oder Fenstern, auch der 200+ CHF Thai in Polanco montiert ausschliesslich eine Scheibe gegen die Abgase, nach oben ist das Restaurant offen. Da sah die Spanischstunde im Business Hochhaus dann auch schon mal so aus:

Schmelztiegel der Kulturen

Der Gründungsmythos aller mesoamerikanischen Kulturen besagt, dass die Götter den Menschen aus Mais geformt haben. Aus gelbem, schwarzem, rotem und weissem Maiz, so wie die Menschen halt sind. Entsprechend vielfältig sind die Kulturen in Mexiko, durch die spanische Eroberung nur nochmals befeuert.

Und weil CDMX das ökonomische Powerhouse von Mexico ist, je nach Quelle werden hier 15 – 18% des BIP erwirtschaftet, übt es eine ungebrochene Anziehungskraft auf Arbeitsmigranten aus allen Teilen Mexikos aus. Ganz Mexiko kommt hier zusammen; neben den Alteingesessenen Chilangos in ihren Verkaufsständen brutzeln Yucatecos ihre Tacos mit Cochinita Pibil, Norteños ihre Tortas, ein sinaloanisches Restaurant bietet die frischesten Meeresfrüchte feil und Baja California steuert den Wein bei.


Einschub «Chilango»

Grundsätzlich: Einwohner von CDMX im restlichen Mexiko.

Es sind aber mehrere Versionen über die Entstehung im Umlauf. Ein älterer Herr aus Mexiko City hat im Gespräch darauf bestanden, dass früher die Einwanderer IN die Stadt so genannt wurden. Irgendwie habe sich das dann umgekehrt und nun nenne sie das ganze restliche Land Chilangos. Egal welche Version nun stimmt, auch wir durften in Cozumel bereits lernen; die Chilangos erkennt man sofort… Wer sich kurz vor (!) dem Tauchgang auf dem Boot noch die Nase pudert oder im El Presidente (400+ USD/Nacht) zwei Wochen Familienurlaub macht, ist definitiv ein Chilango/a. Sie haben etwa den gleichen Ruf wie Zürcher in der Schweiz, nur dass es bei uns es mehr den Charakter eines Scherzes hat während hier einige Chilangos wirklich über reichlich Klassenbewusstsein verfügen. Da wird in Polanco der Kellner schon mal ignoriert wenn es grad nicht passt oder der Strassenverkäufer ohne sich ihm zuzuwenden mit einer herablassenden Handgeste seines Weges geschickt…


Und wie immer vereinigt sich in Mexiko alles beim Essen, wie sich auf einer vierstündigen Tour durch La Merced sehr schön zeigt. Einer der grössten Märkte Lateinamerikas und so gross, dass er ein eigenes Viertel von CDMX ist. Und das will was heissen… 🤣 Aus diversen Gründen geht man besser mit jemandem dorthin, der sich auskennt. Gabriel ist auf dem Markt aufgewachsen, sein Vater hat sich auf unterdessen drei Taco Stände hinaufgearbeitet, seine Familie ist respektiert, wir waren in guten Händen.

Überall in Mexiko sind bemalte Wände, die sogenannten Murales, eine wichtige Ausdrucksform für Botschaften aller Art, häufig auch hochpolitisch. Auch der vermutlich berühmteste Künstler Mexikos, Diego Rivera, zählt viele Murales zu seinem Gesamtwerk.

Und die Kultursektion wäre nicht komplett ohne den Totenkult rund um den Día de los Muertos! Oder eher den ganzen Monat Oktober davor, in dem bereits alles hübsch geschmückt ist und viele Altäre, sogenannte Ofrendas, wie Pilze aus dem Boden schiessen. Auch wenn der mit einer Million unterdessen grösste Umzug, der Gran Desfile de Día de Muertos, als Kopie des Umzugs in der Eröffnungszene des Bond Films «Spectre» begann, ist der Totenkult uralt. Und wird, zu meinem grossen Erstaunen, auch sehr, sehr ernst genommen. Keine Familie ohne ihre Ofrenda für ihre Verstorbenen, und sei sie auch noch so klein…

Die eigentlichen Festivitäten fokussieren sich auf den ersten und zweiten November, den Día de los Angelitos & Día de los Muertos. Grundsätzlich ehrt man die Verstorbenen, die für einen Tag auf die Welt zurückkehren; am ersten Tag verstorbene Kinder, am zweiten Tag die Erwachsenen. Und das Schönste daran: die Trauer steht nicht im Vordergrund, viel mehr zelebriert man das Lebens seiner verstorbenen Ahnen und des Lebens selbst. Sehr mexikanisch…

Auch der Polizeiposten neben meinem Gym steht nicht zurück und hat eine Ofrenda eingereichtet

Einen Überblick über diese Vielfalt kann man sich am besten im Museo Nacional de Antropología verschaffen, eines der ungefähr 200 Museen der Stadt und vielleicht das Beste. Es erklärt alle Mesoamerikanischen Kulturen, die in Mexiko heimisch waren oder sind. Ein Monumentalerlebnis; wir haben es unterdessen zwei Mal besucht und noch nicht alles gesehen…

Liebe auf den zweiten Blick?

Mexiko City ist für mich Mexiko unter dem Brennglas; das Mexikanische destilliert, konzentriert auf seine Essenz. Das kann ich nach fünfeinhalb Monaten Daueraufenthalt in Mexiko selbst mit gutem Gewissen sagen. Denn trotz allen Schwierigkeiten, die mit einer Grossstadt einhergehen (Verkehr, Lärm, Umweltverschmutzung, etc.), empfand ich CDMX als durch und durch mexikanisch. Einfach in all seinen Formen zusammengewürfelt; wo die Lautsprecher vor den Apotheken Reaggeton auf die Strasse plären wie in Valladolid, wo es überall Streetfood in kleinen selbstgebauten Ständen zu kaufen gibt wie überall in Mexiko, hier halt neben Wolkenkratzern, wo am Abend im Park neben dem Zocalo die Leute zusammenkommen um zu tanzen wie in Merida… Klar wirken die Leute ein bisschen reservierter, es wird nicht mehr ganz sooo viel gelächelt wie sonst überall und natürlich nicht mehr jedermann auf der Strasse gegrüsst (fairerweise wäre das aber auch schwierig bei 22 Millionen Leuten). Aber es nicht so, dass man wie bei anderen Hauptstädten (Belize City anyone?) sagen müsste, dass diese komplett anders sei als das Land rundherum. Jede in Mexiko vorhandene Kultur scheint hier repräsentiert und irgendwie eingeflossen zu sein… Das, gemischt mit der ökonomischen Potenz und der Internationalität der Stadt, ergibt einen unglaublich intensiven Cocktail!

Könnte ich langfristig hier leben? Hhhmmm, vermutlich schwierig. Für das ist es einfach zu viel aufs Mal und das ohne Pause, 24/7….

Ist es eine unglaublich tolle und vielfältige Stadt, die ich unbedingt wieder besuchen werde? Definitiv!

Ausblick

Seit wir CMDX verlassen haben, ist auch bereits wieder ein bisschen Zeit ins Land gegangen. Wir haben uns der weiteren Erkundung Mexikos gewidmet und sind wieder mehr in den Reisemodus zurückgekehrt. Immer noch langsam und sehr bewusst, aber mehr Fokus auf das Entdecken uns noch unbekannter Seiten Mexikos. Wir durften zusammen mit Isa & Stefan die Halbinsel Yucatan erkunden, haben Campeche und Chiapas bereist und mit Oaxaca einen Bundesstaat kennen lernen dürfen, wie ihn nur Mexico hervorbringt; vom Surfertown bis zur 3000m+ hohen Sierra Madre gibt es dort so ziemlich alles… Aktuell sind wir mit dem Mietwagen an der Riviera Nayarit unterwegs, gelegen zwischen Jalisco im Süden und Sinaloa im Norden. Aber dazu mehr beim nächsten Mal!

La Cocina Mexicana

Dios mio, wo soll ich überhaupt anfangen? Eine der Gründe, warum uns Mexico so gut gefällt, ist die Vielfältigkeit. Kulturell, landschaftlich und eben auch kulinarisch ist das Land unglaublich divers. Essen hat einen enormen Stellenwert und hat viel mit der nationalen und auch regionalen Identifikation zu tun – das ist selbst für eine Italienerin beindruckend 😉.

Auch nach vielen Wochen in Mexiko und einer sehr hohen «Probierfreudigkeit» haben wir immer noch das Gefühl, nur einen Bruchteil der mexikanischen Küche zu kennen. Es passiert fast täglich, dass ich in einem Restaurant die Menu-Karte ansehe und mehrere Sachen nicht kenne. Entweder, weil ich das Gericht tatsächlich nicht kenne, es eine saisonale Angelegenheit ist (war ja klar, zu jeder erdenklichen Festivität gibt es in Mexico natürlich auch noch mehrere spezifische Gerichte, die es nur zu dieser Zeit gibt, wie beispielsweise das «Pan de Muertos»). Oder, um es für die Nicht-Mexikaner noch extra-lustig zu machen, heisst dasselbe Gericht dann auch noch anders pro Region. Oder die Tortilla wird zu Salbutes (weil aufgebläht und nochmals frittiert) oder Panucho (weil gefüllt mit Bohnen) oder Tostada (weil alt und hart, wird daher frittiert serviert) usw.

Herzstück von fast jedem Gericht ist logischerweise der «Maiz». Er ist nicht nur einfach ein Lieferant für Kohlenhydrate, auch hier steckt wieder mehr dahinter. Es gibt über 63 Maissorten in Mexiko, unterschiedlich in Form und Farbe (gelb, blau, ja sogar rosa). Der durchschnittliche Mexikaner verputzt 335 Kilo Mais pro Jahr, mehrheitlich in Form von Tortillas in verschiedenen Formen und Farben, als Elotes (am Stück) oder als Tamales (Maispüree im Bananenblatt gedämpft) und und und… Nach dem Glauben der Maya wurde der erste Mensch von den Göttern sogar aus Mais geformt – nachdem die vorhergehenden Versuche aus Holz und anderen Materialen gescheitert sind 😉.

Neben Mais gehört zu einem typischen mexikanischen Essen natürlich noch irgendeine Form von Protein. Da sind die bekannten Frijoles (Bohnen), meistens in Form eines Pürees, das quasi zu allem dazu gegessen wird. Und dann ist ja noch das Fleisch – und zwar so ziemlich jedes Fleisch von fast jedem Viech – und nicht nur «Filet-Style» wie bei uns, die Mexikaner essen ALLE TEILE des Tiers.  Die Auswahl beschränkt sich auch nicht nur auf Vierbeiner – Insekten stehen ebenfalls auf dem Speiseplan, vor allem «Chapulines», also Grashüpfer, die als frittierte Snacks zum Apero angeboten werden. Alles wird verzehrt, auch noch heute und unabhängig von der, sagen wir mal «Klassenzugehörigkeit». Das ist einerseits sicher gut so, denn es ist die nachhaltigste Form des Fleischverzehres (wenn man das überhaupt so nennen kann). Andererseits ist es zumindest für mich sehr gewöhnungsbedürftig, respektive meine sonstige Experimentierfreudigkeit stösst bei Hirn, Füssen oder Käfern echt an die Grenze. Naja, ich will nicht urteilen, ist wohl einfach nichts für mich… Aber der Fleischkonsum ist wirklich sehr hoch und für Vegetarier hat die sonstige mexikanische Vielfältigkeit leider schnell ein Ende, wenn man nicht in einer Grossstadt wie Mexico City lebt, wo man sehr gute, internationale Küche an jeder Ecke findet.

Beat isst hier jeweils Pozole, eine traditionelle Suppe mit Maiz.
Achtung, nicht zu verwechseln mit Pancita, diese Version enthält Kuh-Magen….

Salat wie wir es kennen gibt es kaum in der traditionellen mexikanischen Küche – und wenn, dann in Form von geschmacklosem Eisbergsalat als Dekoration. Tomaten (die roten, sowie die noch nicht reifen, grüne Form der Tomatillos) werden als Salsa Verde/Roja zu vielen Gerichten gereicht. Sonst gibt es noch ein paar andere Gemüse wie Zwiebeln, Kürbis oder Zucchini, aber damit hat es sich dann bald. Und dann sind da natürlich noch die «Chile» – hier ist die Küche wieder nicht an Vielfältigkeit zu übertreffen, wie beim Maiz sind es über 60 verschiedene Sorten. Und die meisten = «pica mucho»… Man erhält meistens eine Reihe von Schälchen mit Püree-artigen Saucen zu jedem Gericht, mit dem gringo-freundlichen Hinweis vom Kellner bei welchen man Vorsicht walten lassen soll. Monsieur nimmt die Warnung häufig nicht so ernst, was auch schon mal zum Schweissausbruch führen kann 😉

Unsere Essens-Abenteuer-Lust haben wir auch auf den verschiedenen Märkten und Strassenständen ausgelebt. Ab und zu auch im Rahmen einer geführten Tour mit jeweils wirklich tollen Guides, die uns mit viel Begeisterung über die Herkunft der Gerichte erzählen. Ein wahres Gaumen-Fest also.

Noch vor uns liegt Oaxaca, ein Staat am Pazifik mit gleichnamiger Hauptstadt, deren Küche fast schon als «Food-Capital» bezeichnet wird mit der höchsten Dichte an Michelin-Restaurants in Mexico. Besonders bekannt ist «Mole», eine Art Sauce oder Marinade, die aus unzähligen Zutaten besteht, darunter auch Schokolade. Es gibt zigg Ausführungen, wir werden uns hoffentlich bald die Originalrezepte probieren können.

Es lohnt sich also auch definitiv, von diesem leckeren Essen fett zu werden 😊 Was übrigens auch passiert – gefühlt haben wir haben nach drei Monaten Cozumel von «sportlich braungebrannt» innerhalb eines Monats CDMX in «bleich und gorditos» gewechselt…😉 Aber Spass beiseite – das ist tatsächlich ein Problem in Mexiko. Denn die Nation hat die USA als Nr.1 im Bereich Fettleibigkeit überholt. Bereits im Kindesalter ist Übergewicht ein Problem und die Regierung versucht mit verschiedenen Aktionen diesem Negativ-Trend entgegenzuwirken, leider mit wenig Erfolg. Denn wie oben erwähnt, hat Essen historisch und kulturell so einen wichtigen Stellenwert bei den Mexikanern, dass ein Umdenken hier wirklich schwer ist.  Es ist uns aber völlig bewusst, dass wir in diesem Blog nur einen Bruchteil der mexikanischen Küche und regionaler Kultur abgedeckt haben – daher müssen wir wohl oder übel weiter probieren 😉