Die totale Überforderung; laut, kalt, heiss, Luft die kaum zum Atmen taugt, arm, reich, Verkehr 24/7 und Leute, Leute soweit das Auge reicht. Mein Fazit vorab: Leider geil… 😜
Mit mehr als 9 Millionen Einwohnern innerhalb der Stadtgrenze und ca. 22 Millionen innerhalb des Ballungsgebietes liegt Ciudad de Mexico (CDMX) aktuell auf Platz 9 der grössten Metropolregionen weltweit und ist damit die grösste Menschenansammlung in Nordamerika, noch vor allen US-amerikanischen Metropolen wie New York oder Los Angeles. Das sind die Fakten. Rein gefühlsmässig ist CDMX eher so etwas wie ein eigener Planet. Die Stadt erstreckt sich unendlich weit in alle Richtungen und hört einfach nie auf. Auf einem Ausflug in das Vorort Mixquik sind wir mit dem Shuttle-Bus mehr als drei Stunden (reine Fahrzeit) unterwegs gewesen. Und das alles in der gleichen Stadt! Jedes Quartier, hier Colonia genannt, hat seinen eigenen Charakter.
Und noch viel spassiger: jede Strasse, die eine Colonia von der anderen trennt, kann gleichzeitig die Grenze zwischen «ganz ok hier» und «No-Go Area» darstellen. Ist kein Problem, solange man sich diesen unsichtbaren Grenzen bewusst ist. Macht das Navigieren der Stadt einfach ein bisschen anspruchsvoller dafür umso interessanter.
Wie ist der Vibe?
Ok, ok, ganz ruhig. Beim nochmaligen Durchlesen fühlt sich der Einführungsabsatz etwa gleich atemlos an wie CDMX selbst. Aber es gibt so viel zu erzählen und es ist bereits jetzt klar, dass ich die Hälfte weglassen werde! Nun gut, versuchen wir es der Reihe nach… Als wir ankamen, Direktflug aus Cozumel, fühlten wir uns zuerst einmal wie Campesinos aus der tiefsten Provinz Mexikos. Das Schweizer Gegenstück unserer Reise wäre direkt von Thurgau nach Zürich (sorry Degu 😂). Hier in CDMX ist alles so verhipstert, jede Bar cooler als die vorhergehende und die Leute so divers, jeder mit seinem sehr eigenen Stil. Definitiv eigenständiger im Charakter als Zürich und mit einem ganz eigenen, leicht roughen Street-Stile Charme der im Gerold’s Garten nur gut nachgebaut, hier aber echt ist. Ja, Zürich ist eine tolle Stadt aber mit der Kreativität und rohen Lebensfreude von 22 Millionen Mexikaner ist es schwer mitzuhalten.

Internationale Küche was auch immer das Herz begehrt, in der ersten Woche hatte ich beinahe eine Sushi Überdosis aber auch knuspriges, echt thailändisches Tod Mun Goong geht immer.

Wenn wir gerade beim Schlemmen sind; Craft Beer heisst in Mexiko Cerveza Artesanal. Und davon gibt es viel zu entdecken! Allein in Gehdistanz zu unserem Appartement haben drei lokale Brauereien einen Tasting Room eingerichtet.




La Burbuja
Die «normalen» Einwohner von CDMX nennen sie La Burbuja, die Blase: die Colonias Condesa, Polanco, Roma Norte & Santa Fe sind hip und teuer. Alle die nicht zur Oberklasse gehören, kommen nur zur Arbeit hierher. Auch unser Appartment hat sich mit Roma Norte in einer dieser Nachbarschaften befunden. Martina und ich haben bei der Buchung und auch vor Ort lange Diskussionen darüber geführt, was wir nun davon halten sollen, Stichwort Gentrification etc. Ich möchte immer möglichst lokal eintauchen und wenn acht von zehn Wohnungen AirBnbs mit US-Amerikanischen Bewohner sind, stellt sich dieses Gefühl nicht ein.

Fazit: Trotz meiner tief verankerten Abneigung gegen zu viel Zeit im «Gringotown» war die Lokation unseres Airbnbs eine ganz gute, sprich pragmatische Entscheidung. Die Kriminalitätsstatistik von Mexiko City erspar ich uns jetzt, aber bei aller Gelassenheit eines erfahrenen Reisenden gibt es einfach ein paar grundlegende Realitäten, denen auch wir uns nicht entziehen können.

Und man muss sich eines bewusst sein; während ich weisser Schweizer mich bitte schön in einer authentischen Nachbarschaft wiederfinden möchte, würden viele Einwohner Mexiko City’s das linke Bein dafür geben, in der Burbuja leben zu dürfen. Mit guter Infrastruktur und ohne Schiessereien…
Das nun aber kein falscher Eindruck entsteht; bei uns im Roma Norte sieht es noch nicht gaaaanz wie in Zürich. Sehr cool und hip, aber definitiv a bit rough around the edges… 😂
Perritos, Perritos, all day long…
Als erstes fällt einem auf, dass jeder Chilango mindestens einen, besser zwei oder drei Hunde hat. Je auffälliger, desto besser, vom Mini-Chihuahua bis zum Afghanischen Windhund haben wir alles gesehen. Waschechte Bernhardiner auch. Abends sind die Trottoirs voll mit stolzen Herrchen und Frauchen und auch sonst scheinen die lieben Perritos Gesprächsthema Nummer eins zu sein. Das jemand seinen Hund vor dem eigenen menschlichen Partner begrüsst, mir egal. Wenn jemand seinen Hund im Restaurant WÄHREND des Essens auf dem Schoss hat, um ihn ununterbrochen liebkosen zu können, schwierig.
Leider arbeiten die Bewohner von Mexiko City sehr hart und haben deshalb nicht immer Zeit sich um ihre vierbeinigen Freunde zu kümmern. Für das gibt es eine ganze Industrie von Hunde-Coiffeurs, Hunde-Walkern, Hunde-SPA’s und sogar Hunde-Hotels, wenn es einem ganz zu viel wird. Vielleicht liegt meine Abneigung der Hunde Manie gegenüber auch darin begründet, dass sich ein ebensolches Hunde-Hotel direkt gegenüber unserem Airbnb befunden hat. Inklusive der nicht zu vernachlässigenden Lärmemissionen, wenn ein Hund meint, er sei für immer von seinem Herrchen zurückgelassen worden, weil er das Konzept von zwei Wochen Sommerferien nicht versteht. Ich weiss, ich höre mich nun ein bisschen sarkastisch an, aber wieviel Lärm zwanzig sich verlassen fühlende Perritos über die Dauer einer Nacht fabrizieren können, weiss nur, wer es selbst erlebt hat.
Fazit: Wer weiss, ob es eine Hunde-verrücktere Stadt auf dieser Welt gibt…
Administratives: Von A nach B und das Wetter
AMLO hat in seiner Amtszeit viel in den öffentlichen Verkehr von CDMX investiert und das merkt man. Die zwei grossen Fortbewegungsmittel sind die Metro und der Metrobus. Funktioniert beides perfekt und die Chilangos sind auch sichtlich stolz darauf, auf jeder Tour oder bei jeder mit dem ÖV zusammenhängenden Interaktion wurde darauf hingewiesen. Als grosser ÖV Fan kann ich nur sagen; Daumen hoch, sehr gut gemacht.

Aber ja, bei aller Lobhuddelei bzgl. dem ÖV; CDMX ist (und bleibt vermutlich auf absehbare Zeit) eine Autostadt…


Das Wetter im Oktober war sehr stetig, zumindest über die einzelnen Tage hinweg betrachtet. Innerhalb eines Tages kann es aufgrund der Höhe (2’200+ Meter über Meer) zu grossen Schwankungen kommen. Heisst konkret; Morgens eher frisch, Wolljäckli erwünscht, ab ca. 11 Uhr brennt die Sonne was sie mag und T-Shirt ist eigentlich immer noch zu viel, Nachmittags um 16 Uhr gibt es gerne mal eine Schauer und Abends manchmal lange angenehm warm, manchmal bereits zum Znacht die Daunenjacke.

Für Martina («la friolera», Gfröörli auf Deutsch) kam erschwerend hinzu, dass die Chilangos nichts aber auch gar nichts von Isolierung oder nur schon von Fenstern halten. Es gab selten Restaurants mit Türen und / oder Fenstern, auch der 200+ CHF Thai in Polanco montiert ausschliesslich eine Scheibe gegen die Abgase, nach oben ist das Restaurant offen. Da sah die Spanischstunde im Business Hochhaus dann auch schon mal so aus:
Schmelztiegel der Kulturen
Der Gründungsmythos aller mesoamerikanischen Kulturen besagt, dass die Götter den Menschen aus Mais geformt haben. Aus gelbem, schwarzem, rotem und weissem Maiz, so wie die Menschen halt sind. Entsprechend vielfältig sind die Kulturen in Mexiko, durch die spanische Eroberung nur nochmals befeuert.
Und weil CDMX das ökonomische Powerhouse von Mexico ist, je nach Quelle werden hier 15 – 18% des BIP erwirtschaftet, übt es eine ungebrochene Anziehungskraft auf Arbeitsmigranten aus allen Teilen Mexikos aus. Ganz Mexiko kommt hier zusammen; neben den Alteingesessenen Chilangos in ihren Verkaufsständen brutzeln Yucatecos ihre Tacos mit Cochinita Pibil, Norteños ihre Tortas, ein sinaloanisches Restaurant bietet die frischesten Meeresfrüchte feil und Baja California steuert den Wein bei.
Einschub «Chilango»
Grundsätzlich: Einwohner von CDMX im restlichen Mexiko.
Es sind aber mehrere Versionen über die Entstehung im Umlauf. Ein älterer Herr aus Mexiko City hat im Gespräch darauf bestanden, dass früher die Einwanderer IN die Stadt so genannt wurden. Irgendwie habe sich das dann umgekehrt und nun nenne sie das ganze restliche Land Chilangos. Egal welche Version nun stimmt, auch wir durften in Cozumel bereits lernen; die Chilangos erkennt man sofort… Wer sich kurz vor (!) dem Tauchgang auf dem Boot noch die Nase pudert oder im El Presidente (400+ USD/Nacht) zwei Wochen Familienurlaub macht, ist definitiv ein Chilango/a. Sie haben etwa den gleichen Ruf wie Zürcher in der Schweiz, nur dass es bei uns es mehr den Charakter eines Scherzes hat während hier einige Chilangos wirklich über reichlich Klassenbewusstsein verfügen. Da wird in Polanco der Kellner schon mal ignoriert wenn es grad nicht passt oder der Strassenverkäufer ohne sich ihm zuzuwenden mit einer herablassenden Handgeste seines Weges geschickt…
Und wie immer vereinigt sich in Mexiko alles beim Essen, wie sich auf einer vierstündigen Tour durch La Merced sehr schön zeigt. Einer der grössten Märkte Lateinamerikas und so gross, dass er ein eigenes Viertel von CDMX ist. Und das will was heissen… 🤣 Aus diversen Gründen geht man besser mit jemandem dorthin, der sich auskennt. Gabriel ist auf dem Markt aufgewachsen, sein Vater hat sich auf unterdessen drei Taco Stände hinaufgearbeitet, seine Familie ist respektiert, wir waren in guten Händen.
Überall in Mexiko sind bemalte Wände, die sogenannten Murales, eine wichtige Ausdrucksform für Botschaften aller Art, häufig auch hochpolitisch. Auch der vermutlich berühmteste Künstler Mexikos, Diego Rivera, zählt viele Murales zu seinem Gesamtwerk.
Und die Kultursektion wäre nicht komplett ohne den Totenkult rund um den Día de los Muertos! Oder eher den ganzen Monat Oktober davor, in dem bereits alles hübsch geschmückt ist und viele Altäre, sogenannte Ofrendas, wie Pilze aus dem Boden schiessen. Auch wenn der mit einer Million unterdessen grösste Umzug, der Gran Desfile de Día de Muertos, als Kopie des Umzugs in der Eröffnungszene des Bond Films «Spectre» begann, ist der Totenkult uralt. Und wird, zu meinem grossen Erstaunen, auch sehr, sehr ernst genommen. Keine Familie ohne ihre Ofrenda für ihre Verstorbenen, und sei sie auch noch so klein…
Die eigentlichen Festivitäten fokussieren sich auf den ersten und zweiten November, den Día de los Angelitos & Día de los Muertos. Grundsätzlich ehrt man die Verstorbenen, die für einen Tag auf die Welt zurückkehren; am ersten Tag verstorbene Kinder, am zweiten Tag die Erwachsenen. Und das Schönste daran: die Trauer steht nicht im Vordergrund, viel mehr zelebriert man das Lebens seiner verstorbenen Ahnen und des Lebens selbst. Sehr mexikanisch…




Einen Überblick über diese Vielfalt kann man sich am besten im Museo Nacional de Antropología verschaffen, eines der ungefähr 200 Museen der Stadt und vielleicht das Beste. Es erklärt alle Mesoamerikanischen Kulturen, die in Mexiko heimisch waren oder sind. Ein Monumentalerlebnis; wir haben es unterdessen zwei Mal besucht und noch nicht alles gesehen…
Liebe auf den zweiten Blick?
Mexiko City ist für mich Mexiko unter dem Brennglas; das Mexikanische destilliert, konzentriert auf seine Essenz. Das kann ich nach fünfeinhalb Monaten Daueraufenthalt in Mexiko selbst mit gutem Gewissen sagen. Denn trotz allen Schwierigkeiten, die mit einer Grossstadt einhergehen (Verkehr, Lärm, Umweltverschmutzung, etc.), empfand ich CDMX als durch und durch mexikanisch. Einfach in all seinen Formen zusammengewürfelt; wo die Lautsprecher vor den Apotheken Reaggeton auf die Strasse plären wie in Valladolid, wo es überall Streetfood in kleinen selbstgebauten Ständen zu kaufen gibt wie überall in Mexiko, hier halt neben Wolkenkratzern, wo am Abend im Park neben dem Zocalo die Leute zusammenkommen um zu tanzen wie in Merida… Klar wirken die Leute ein bisschen reservierter, es wird nicht mehr ganz sooo viel gelächelt wie sonst überall und natürlich nicht mehr jedermann auf der Strasse gegrüsst (fairerweise wäre das aber auch schwierig bei 22 Millionen Leuten). Aber es nicht so, dass man wie bei anderen Hauptstädten (Belize City anyone?) sagen müsste, dass diese komplett anders sei als das Land rundherum. Jede in Mexiko vorhandene Kultur scheint hier repräsentiert und irgendwie eingeflossen zu sein… Das, gemischt mit der ökonomischen Potenz und der Internationalität der Stadt, ergibt einen unglaublich intensiven Cocktail!
Könnte ich langfristig hier leben? Hhhmmm, vermutlich schwierig. Für das ist es einfach zu viel aufs Mal und das ohne Pause, 24/7….
Ist es eine unglaublich tolle und vielfältige Stadt, die ich unbedingt wieder besuchen werde? Definitiv!
Ausblick
Seit wir CMDX verlassen haben, ist auch bereits wieder ein bisschen Zeit ins Land gegangen. Wir haben uns der weiteren Erkundung Mexikos gewidmet und sind wieder mehr in den Reisemodus zurückgekehrt. Immer noch langsam und sehr bewusst, aber mehr Fokus auf das Entdecken uns noch unbekannter Seiten Mexikos. Wir durften zusammen mit Isa & Stefan die Halbinsel Yucatan erkunden, haben Campeche und Chiapas bereist und mit Oaxaca einen Bundesstaat kennen lernen dürfen, wie ihn nur Mexico hervorbringt; vom Surfertown bis zur 3000m+ hohen Sierra Madre gibt es dort so ziemlich alles… Aktuell sind wir mit dem Mietwagen an der Riviera Nayarit unterwegs, gelegen zwischen Jalisco im Süden und Sinaloa im Norden. Aber dazu mehr beim nächsten Mal!















Beat, ich liebe deine amüsanten, leicht lesbaren und tollen, detailverliebten Reiseberichte. 😁🧳👍👏