Noch bevor wir aber nach Medellín reisen, machen wir einen Abstecher entlang der Karibikküste in den Tayrona-Park. Da wir uns gegen das mehrtägige Trekking in der Ciudad Perdida entschieden, haben wir dafür ein wenig mehr Zeit in diesem erstaunlichen Nationalpark eingeplant. Aufgrund einer Empfehlung einer Kollegin (danke tuusig Bettina :-)) haben wir uns am Ende des Parks in einem luxuriöseren Jungle-Bungalow einquartiert – wow, was für ein Paradies!
In absoluter Ruhe und auf einer wunderschönen Anlage konnten wir uns jeweils vom mehrstündigen Trekking im Park erholen oder einfach nur die Seele baumeln lassen.
Mir persönlich hat es richtig gutgetan, nach einem Monat hitziger Grossstadt ein wenig Zeit in der Abgeschiedenheit und Natur zu verbringen – wir werden diesem Wunsch noch mehrere Male folgen, da es lateinamerikanische Metropolen wirklich in sich haben.
Da die Route von Cartagena nach Medellín nicht mehr versprach ausser 15 Stunden unspektakulärer Busfahrt, haben wir uns für den günstigen Flug entschieden. Pünktlich zum offiziellen Beginn der Regenzeit hat sich ein Gewitter über Cartagena entladen, welches unseren Abflug aber um mehrere Stunden verzögerte. Naja, wir werden uns daran gewöhnen müssen, da überall in Kolumbien nun «nasses Wetter» angesagt ist.
MEDELLIN
Und plötzlich sind wir wieder in einer pulsierenden Grossstadt, die unterschiedlicher vom altbekannten Cartagena nicht sein könnte – Medellín! Wir hatten bislang nur Gutes von der ehemals gefährlichsten Stadt der Welt gehört, aber waren zugegebenermassen auch, wie die meisten, ein bisschen «Netflix-gebiased» von deren Vergangenheit und wussten nicht recht, was wir zu erwarten hatten. Aber die «Paisas» haben uns schnell eine Lektion erteilt, zu welcher Transformation Menschen auch in den schwierigsten Umständen fähig sind:

Die «Stadt des ewigen Frühlings» hat fast 4 Millionen Einwohner, ist in ein enges Tal gequetscht und breitet sich entlang der unendlich steilen Hängen in alle Richtungen aus. Ein Highlight und einzigartig in Kolumbien ist die Metro und die dazugehörigen «Metro-Cable», die einige Barrios (Stadteile) in den Berghängen mit dem Zentrum verbinden. Sämtliche öffentliche Verkehrsmittel sind penibel sauber gehalten und durch Lautsprecher wird in allen Stationen die «Cultura Metro» verkündet, die einen erinnert, dass man doch der älteren Damen den Platz freigeben und sich anständig verhalten soll.


Die denkbar besten Voraussetzungen hatte Medellín in den 30ern, als das Industrialisierungs-Herz von Kolumbien und dank der Eisenbahnlinie der Hauptverkehrsknotenpunkt für den Kaffee-Transport im ganzen Land. Als florierende Stadt war sie über die kommenden Jahrzehnte aber auch Auffangplatz für viele Kolumbianer aus anderen Regionen, die vor den verschiedenen Konflikten mit den Guerillas, Paramilitär oder FARC flüchteten. Das dunkelste Zeitalter der Stadt begann jedoch in den 80er mit dem Aufstieg des Medellín-Kartells. Die Stadt und deren Einwohner litten unter einem unerbittlichen Drogenkrieg, Anschlägen und einer unvorstellbaren Kriminalität, die das öffentliche Leben teilweise zum Erliegen brachten. Es gibt unzählige Geschichten und Mythen über diese Zeit, welche vor allem Pablo Escobar auch als Wohltäter darstellen, sodass es tatsächlich auch heute noch Anhänger gibt. Aber auch nach der Zerschlagung des Kartells 1993 blieb Medellín die Stadt mit der höchsten Mordrate weltweit und obwohl sie heute viel sicherer ist, gibt es nach wie vor Gebiete, die kein Einwohner freiwillig betreten würde. Aber es werden viele Anstrengungen unternommen, die Sicherheit zu erhöhen. Die Polizeipräsenz ist enorm, von privaten Sicherheitspersonal bis zum schwer bewaffneten Militär läuft man kaum einen Block. Der Justizpalast, die Stadtverwaltung und Sitz des Bürgermeisters befinden sich nun auf den mit Neonröhren künstlerisch gestalteten «Plaza de Luz», der noch vor wenigen Jahren einer der gefährlichsten Orte in Medellín war.
Die Einwohner der Region Antioquia mit der Hauptstadt Medellín nennen sich «Paisas». Damit einhergehend beschreiben sie nicht nur die geografische Lage, sondern auch ihren Charakter. «Paisas» sind wohl die stolzesten Einwohner Kolumbiens und sind im ganzen Land bekannt als clevere, wenn auch ein bisschen schlitzohrige Verkäufer.


Sie haben einen unglaublichen Elan und wie uns erklärt wurde, behaupten sie ein «selektives Gedächtnis» zu haben – sprich sie versuchen sich nur an die positiven Erlebnisse zu erinnern und das Leben mit seinen kleinen Freuden zu geniessen. Ich kann nicht beurteilen, ob diese Lebenseinstellung ein «natürliches Resultat» ist, wenn man vom ständigen Terror umgegeben ist oder aber das Erfolgsrezept, wie es den Menschen in Medellín gelungen ist, ihre Stadt – ich weiss nicht, wie ich es anders sagen soll – «aus dem Dreck zu ziehen» und zu einer kosmopoliten, szenigen und innovativen Weltstadt zu transformieren.

Aber wir haben auch von den Kolumbianern gelernt, dass es immer zwei Seiten einer Geschichte gibt und nirgendwo im ganzen Land scheint dieses Konzept besser zuzutreffen als in Medellín. Während der zwei mehrstündigen Walking-Tours, die wir mit einer NGO in Medellín absolviert haben, erlaubten uns die fantastischen Guides ein Einblick in beide Seiten der Medaillen und beantworten alle unsere Fragen. Ein weiteres Beispiel dieser unglaublichen Transformation, die aber noch lange nicht abgeschlossen ist, ist das Barrio Moravia. Die Tour beginnt vor einem grünen, mit Blumen bewachsenen Hügel inmitten der Stadt, sieht irgendwie aus wie ein Stadtpark mit ein paar vereinzelten typischen selbstgebauten Häuschen drauf. Mir klappt die Kinnlade herunter, als ich erfahre was sich genau hinter – oder respektive unter – diesem vermeidlichen Naherholungsgebiet versteckt: Tonnen von Abfall aus dem Grossstadtleben….
In den 70ern haben sich die unzähligen Bauernflüchtlinge aus dem Umland neben der Mülldeponie inmitten von Medellín niedergelassen, weil sie nirgendwo sonst eine Unterkunft bezahlen konnten. Mit immer mehr Leuten kam immer mehr Abfall, sodass sich die Menschen in ihren behelfsmässigen Unterkünften irgendwann mitten auf dem Müllberg niedergelassen haben, welcher auf 50 Meter Höhe anwuchs!!! 2010 wollte die Stadtverwaltung dem ganzen ein Ende bereiten und die Bewohner zwingen, umzuziehen. Sie offerierten allen Bewohnern (die bislang weder Steuern noch sonstige Abgaben entrichteten) eine eigene Wohnung. Klingt ja schon ganz gut, nur dummerweise war diese Wohnung am anderen Ende der Stadt in einem Steilhang, und da die meisten Bewohner mit den typischen fahrbaren Verkäuferladen im Stadtzentrum arbeiten, weigerten sie sich umzuziehen. Im Weiteren, wie in den vielen ärmeren Barrios, haben sich die Leute ihre Häuser, Strassen und Abwassersysteme eigenhändig gebaut – was man denen auch ansieht. Die meisten Unterkünfte sehen schief und wacklig aus, sind aus einzelnen verschiedenen Baumaterialien und meist mit einem «noch nicht fertiggestellten» zweiten Stockwerk oder Blechdach. Obwohl es für sie gesundheitlich sehr problematisch ist dort zu leben (man stelle sich vor, das Gartengemüse, welches sie selber essen, wächst auf einer Mülldeponie), wollen sie ihr «Heim» nicht verlassen..
Aber es gibt unzählige andere innovative Ansätze der Stadt, um die Lebenssituation der Anwohner zu verbessern. Beispielsweise gibt es viele Sportplätze und Gemeindezentren für Kinder und Jugendliche, wo sie gratis verschiedenen Aktivitäten nachgehen können. Auf fast jeder Mauer prangt ein gespraytes Kunstwerk und bringt Farbe in die Stadt – organisiert von Strassenkünstler in Armenvierteln.

Die landesweite Kampagne, übersetzt «Ein Nerd zu sein zahlt sich aus» finanziert den besten 10’000 Schüler aus den Armenvierteln in Kolumbien einen Studienplatz an der Universität ihrer Wahl. Es wirkt auf mich, als ob alles getan wird, um die nächste Generation von der Strasse wegzukriegen, sinnvoll zu beschäftigen und somit eine attraktive Zukunft zu ermöglichen. Und obwohl noch einiges im Argen liegt, wie beispielsweise, dass nur 50% der Kolumbianer einer «offiziellen» Arbeit nachgehen und somit versichert sind und Steuern zahlen, erscheint mir persönlich der Wandel nicht mehr umkehrbar. Ich ziehe den Hut vor der Stadt und deren Einwohnern, sie haben mein Bild von Kolumbien sehr positiv geprägt.
Neben weiteren Museumsbesuchen und einigen feuchtfröhlichen Nächten mit Freunden aus Cartagena, haben wir auch einen Ausflug ins zwei Stunden entfernte Guatapé gemacht. Das verschlafene Städtchen ist mit seinen farbigen Häuschen eine Sehenswürdigkeit an sich, der unübersehbare «La Piedra» war aber der eigentliche Grund unseres Besuchs.
Der gigantische Granitstein ist mit 700 Stufen zu erklimmen und ermöglicht einen spektakulären Ausblick auf die spezielle Landschaft. Keuchend kriechen wir die Stufen rauf und ich kann es kaum fassen, als ein altes Manndli, beladen mit unzähligen Bierdosen auf dem Rücken für das Restaurant auf dem Berg, an uns vorbeizieht – ich muss dringend an meiner Fitness abreiten 🙂
Also weiter im Takt und in den Bus – auf zur Zona Cafetera im Herzen von Kolumbien.
ZONA CAFETERA – MANIZALES & SALENTO
Nach einer mehrstündigen Fahrt über gefühlte tausend Kurven rauf und runter ins Tal, krieche ich ein wenig grün im Gesicht aus dem Bus in Manizales, Hauptstadt der Region Caldas. Eine typische Grossstad von Kolumbien – über 2000 Meter und folglich mit unendlichen steilen Strassen, dünner Diesel-geschwängerter Luft und saukalt-regnerischem Wetter – hei gefällt es mir hier…NOOOT! Da die Wände wie Papier und die Fenster etwa Trinkglas-dick sind, vermisse ich bereits das brütend heisse Cartagena und schmiede heimliche Fluchtpläne an die Küste.

Aber nicht so schnell, mein Liebster scheint in der Kälte förmlich aufzublühen (was für eine Überraschung…) und die Schmerzen in seiner Leiste sind fast wie weggeblasen. Also sei’s drum, ich montiere sämtliche Kleider, die mein Rucksack herzugeben hat und finde mich damit ab, dass es auch auf den weiteren Reisezielen ein bisschen fröstelig wird.

Aber ich will nicht übertreiben, am nächsten Tag und ca. 200 Meter weiter unten reisse ich mir bei strahlender Sonne bereits die Daunenjacke vom Leib – wir sind in der Hacienda Venezia angekommen, eine der grössten Kaffee-Plantagen in Kolumbien. Während einer mehrstündigen Tour lernen wir alles über den Rohstoff Nr. 1 und ganzen Landesstolz.



Schon häufig ist uns aufgefallen, dass Kaffee in Kolumbien mehr als nur ein Getränk zu sein scheint, es prägt die Kultur und auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, da die Regionen mit Plantagen von den meisten Investitionen in die Infrastrukturen profitieren. Ironischerweise bleibt den Kolumbianern mit ihrem «Tinto» aber nur ein schwarzbraunes, wässriges Gesöff, dass nur mit sehr viel Zucker trinkbar wird. Die besten Bohnen, welche den Kolumbianischen Kaffee weltberühmt gemacht haben, sind eben nur für den Export gedacht und für die meisten Kolumbianer unerschwinglich.

Während der Tour dürfen wir aber die exklusivsten Sorten probieren und wir, die sonst naserümpfend den Kaffee verschmähen, können dem Getränk plötzlich doch etwas abgewinnen – wahre Gourmets halt J Nein ernsthaft, anscheinend werden in den Exportländern die Bohnen viel zu stark geröstet, um Geschmacksdifferenzen zu übertönen, sodass der elendig bittere Nachgeschmack im Kaffee entsteht. Wieder so ein AHA-Effekt wie bei der Schoggi-Produktion in Belize – ich frage mich langsam, ob wir in der westlichen Welt überhaupt irgendetwas so konsumieren, wie es natürlich schmecken würde und nicht mit viel extra-chemischen Stoffen Starbucks-tauglich und bis in die Unendlichkeit haltbar gemacht wird..
Weiter geht’s wieder mit dem Bus nach Salento. Das abgelegene Dorf in den Bergen ist ähnlich wie Guatapé, rein an sich einen Besuch wert. Herzige kleine Strässchen, lokale Restaurants und die ruhige Stimmung wird einzig unterbrochen durch das Klacken der Pferdehufe, die hier als Haupttransportmittel für Mensch und Ware verwendet werden.
Aber auch in diesem Fall ist die eigentliche Attraktion eine andere: das Valle de Cocora. Zwischen 2000 und 2400 Metern Höhe wächst hier eine ganz spezielle Wax-Palme, welche bis zu 45 Meter, einzelne sogar 60 Meter, hoch werden. Das klingt jetzt ein wenig öde, aber während unser 6-stündigen Wanderung im Gebiet eröffnen sich spektakuläre Ausblicke auf eine surreale Landschaft. Auf der einen Seite sieht es aus wie eine Schweizer Alpenwiese, mit Gras und Kühen und allem Drum und Dran. Dann dreht man sich um und hinter den Nebelschwaden sind die einzeln verteilten Palmen zu erspähen – flashig!
Als Teil unserer geführten Tour um mehr über die Biosphäre der Region zu erfahren, durften wir sogar selber unseren Setzling pflanzen, der sich hoffentlich in xy-Jahren zu einer dieser mächtigen Palmen entwickelt wird 🙂
Aber Überraschung, auch hier gib es noch eine andere Seite der Geschichte: Ein Tag zuvor hatten wir die Gelegenheit zu einer Tour durch ein Jungle-Naturreservat in der Nähe von Salento mit einem unglaublichen Guide. Selten habe ich jemanden gesehen, der so passioniert ist für sein Gebiet und dessen Expertise sich wohl aus einer lebenslanger Hingabe speist. Die drei Stunden vergingen wie im Flug und zum Schluss konnten wir seine, aus recycelten Materialen und komplett umweltverträgliche, selbstgebaute Jungle-Lodge, besuchen. Er hat uns auch erklärt, dass die Palmen im Valle eigentlich nur «Überbleibsel» der Rodung zur kommerziellen Holznutzung sind. Es werden keine neuen Palmen auf diesem Wiesenplateau wachsen, weil die Bedingungen nicht geeignet sind. Wie vieles andere, stammen die Gras-Wiese, die Kühe und Pferde nämlich nicht ursprünglich aus Kolumbien, sondern sind während der Kolonialisierung mit den Spaniern eingeführt worden. Aber da wir dies bereits wussten, haben wir hoffentlich unseren kleinen Setzling in den «palmen-freundlichen» Jungle-Boden gepflanzt 🙂
Nach der Auszeit in der Natur geht es nun weiter nach Bogota – die 8-stündige Busfahrt war mit dem 1.Klasse-Bus und der wunderbaren Aussicht relativ gut zu ertragen.
Die schiere Grösse von Kolumbiens Hauptstadt mit 10 Millionen Einwohner ist aber kaum vorstellbar. Vom ärmeren Süden in den reicheren Norden erstreckt sich die Stadt über eine riesige Fläche, wo man locker einmal 45 Minuten im Taxi hockt, um ins «Stadtzentrum» zu kommen. Das volle Ausmass zeigt sich auf dem Aussichtspunkt beim Montserrate – wenn man ganz still ist, hört man von dort oben nur noch ein vermischtes Rauschen der unzähligen Hupen, Autos und Sirenen.
Ansonsten ist Bogota irgendwie nicht so mein Ding, da es viel anonymer und abgeklärter wirkt wie irgendein anderer Ort in Kolumbien. Auch habe ich während zwei Monaten keinen einzigen Mann im Designeranzug mit Headset im Ohr oder eine schikimiki Tante im Burberry-Trainingsanzug gesehen – und hier wimmelt es nur so davon. Wobei lecker essen aus den besten internationalen Küchen kann man hier, aber dafür mit gesalzenen Preisen.

Aber klar, in Bogota läuft die gesamte Wirtschaftskraft von Kolumbien zusammen, das 50 Millionen-Land wird von hier aus regiert und die Zukunft des Landes wird hier entschieden – also war es doch ein Besuch wert um das Bild von Kolumbien abzurunden. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschieden wir uns heute von diesem unglaublichen diversen Land und deren herzlichen Bewohner. Vor uns liegt Ecuador und die Galapagos Inseln – und ich sitze hier grinsend am Flughafen, so fröhlich und unglaublich gespannt auf unser nächstes Abenteuer 🙂















